CO2-Kompensation: Emissionszertifikate sind weitgehend nutzlos
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Statt auf die CO2-intensive Flugreise oder das argentinische Rumpsteak zu verzichten, kauft man einfach ein Kompensationszertifikat – schon sind die Emissionen ausgeglichen und das Gewissen erleichtert. Das Problem ist bloß: Die Wirkung der dahinterliegenden Klimaschutzprojekte wird erheblich überbewertet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Forschungsgruppe um den Umweltökonomen Benedict Probst vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Mindestens 84 Prozent der 2346 untersuchten Projekte waren demnach nutzlos für das Klima. Die Metastudie ist im Fachjournal »Nature Communications« erschienen.
Der Handel mit Emissionszertifikaten ist ein Instrument der Umweltpolitik und soll dabei helfen, die weltweite Erwärmung zu begrenzen, indem anfallende Treibhausgasemissionen kompensiert werden. Vor allem Unternehmen und Staaten gleichen damit einen Teil ihrer eigenen Emissionen aus. Davon unterscheiden muss man staatlich erhobene CO2-Steuern und die Ausgabe von Emissionslizenzen innerhalb der EU. Die Idee hinter dem Zertifikatehandel ist, dass Treibhausgase, die sich nicht vermeiden lassen, durch die finanzielle Unterstützung von Umweltprojekten, wie den Schutz von Wäldern, den Bau von Windkraftanlagen oder die Entnahme klimaschädlicher Gase aus der Atmosphäre, ausgeglichen werden.
Derzeit wird geschätzt, dass der globale Handel mit CO2-Zertifikaten bis Mitte der 2030er Jahre ein Volumen von einer Billion Euro erreichen könnte. Das hat auch damit zu tun, dass die Teilnehmerstaaten auf der UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan 2024 einstimmig erste Regeln für Emissionsgutschriften verabschiedet haben. Geplant ist ein globaler Kohlenstoffmarkt, der auf den Handel mit Emissionsgutschriften ausgerichtet ist. Danach können Länder oder Unternehmen für Projekte auf der ganzen Welt bezahlen, die CO2-Emissionen reduzieren.
Doch die große Frage ist: Spiegeln diese Zertifikate wirklich Emissionsreduktionen wider oder existiert die Kompensation nur auf dem Papier?
Annahmen sind oft unrealistisch
Auf der Suche nach einer Antwort werteten die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts mehr als 60 empirische Studien aus. Alle betrachteten Arbeiten stützen sich auf experimentelle Methoden oder strenge Beobachtungstechniken. Die Analyse decke damit ein Fünftel der bisher ausgegebenen Emissionsgutschriften ab, schreiben die Forscher, was rund einer Milliarde Tonnen CO2-Emissionen entspreche. Dabei schauten sie sich verschiedene Arten von CO2-Ausgleichen an. Neben dem Schutz von Wäldern und effizienten Kochöfen für Entwicklungsländer betrachteten sie auch die Investitionen in Windkraft oder in Projekte, die Emissionen in Industrieprozessen mindern. Wichtige Kriterien waren, dass die Minderungsmaßnahme zusätzlich zu gesetzlich vorgeschriebenen Projekten umgesetzt wurde und dauerhaft CO2 speichert oder vermeidet.
Am besten schnitt in der Studie die Verbesserung von Industrieanlagen ab, etwa die Installation von Filtern in Chemiewerken, um besonders klimaschädliche Gase aufzufangen. 68 Prozent dieser Zertifikate werden in Untersuchungen als real, also als tatsächlich klimawirksam angesehen. Bei der Förderung von Kochöfen in Entwicklungsländern, bei denen herkömmliche Herde durch sauberere ersetzt werden, ist das Ergebnis durchwachsen: Nur elf Prozent der vergebenen Emissionsgutschriften entsprachen den tatsächlichen Emissionsminderungen. Für besonders viele Kontroversen sorgten zuletzt Projekte zum Schutz von Wäldern. Dabei werden CO2-Zertifikate für den Erhalt von Bäumen ausgestellt, die ohne das Geld gefällt worden wären. Wie viel CO2 damit aber letztlich aus der Atmosphäre gezogen wird, ist von vielen Faktoren abhängig und nicht leicht zu berechnen. Im August 2023 kamen Wissenschaftler im Magazin »Science« zu dem Schluss, dass fast 90 Prozent solcher ausgegebenen Zertifikate wertlos sind.
Besonders kritisch sehen die Studienautoren die CO2-Zertifikate, die im Zusammenhang mit dem Bau von Windkraftanlagen ausgestellt werden. »Die Projekte wären vermutlich auch ohne den Verkauf von Emissionsgutschriften umgesetzt worden«, heißt es. »Die Ausgabe der Gutschriften hat somit zu keinem zusätzlichen Klimaschutz geführt.«
Die Analyse der Max-Planck-Wissenschaftler zeigt auch, dass häufig besonders vorteilhafte Daten ausgewählt werden, um zu einer möglichst positiven Aussage zu kommen, oder dass unrealistische Annahmen getroffen werden. Das Fazit der Autoren ist daher deutlich: »Die Methode der Emissionsgutschriften muss grundlegend reformiert werden, um einen sinnvollen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels zu leisten.« Dabei seien vor allem die Kohlenstoffmarktprogramme in der Pflicht, betonen sie. Diese sollten ihre Ansätze zur Prüfung von Projekten und der Berechnung von Emissionsminderungen verbessern. Zentral sei dabei, dass konservativere Annahmen getroffen werden und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse als Grundlage dienen.
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